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lesarten.

<konstruktion>…, die sämtlichen ihrer aspekte – hält mary a. nicholas1 für ein zentrales sujet der (werke) platonovs. ich setze dieses wort noch in klammern. platonov (1899-1951) hinterliesz wahrscheinlich weniger :werke: als vielmehr komplex ausgestaltete versuche, sich dem bauwerk, das die seit 1922 bestehende sowjetrepublik darstellte, zu nähern. die baugrube entsteht in einer bewegten, von wandlung geprägten zeit (1929-1930), eingeleitet durch lenins erbe josef stalin. 1927 beschlosz der „XV. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion“ „Maßnahmen zur beschleunigten Industrialisierung der Sowjetunion“2, den ersten Fünfjahresplan für die periode 1928-1932. die new york times nennt diesen am 11. dezember 1927 „an experiment so immense, so novel and so courageous that no student of economics can afford to neglect it. Whether it transcends the limits of human administrative capacity and fails, or whether it meets this challenge and succeeds, it has much to teach us. It is something new in the world.“3

platonov, ein techniker, der beschreibungen eines besuches der <kamenskaja papierfabrik> auf den rückseiten des manuskripts hinterliesz, „was an intense and active contributor to the discussion of how to build the improved world in which new Soviet men and women would reside. His literary works are suffused with themes, vocabulary, plot elements, and philosophical musings related to the meaning of construction.“4 der trieb „zu bauen“ erscheine bei ihm als ein essentieller der menschlichen existenz, den seine protagonisten um jeden preis ausleben5. nichts verwundert einen an deren perspektive – sie begreifen sich, je nach stellung mehr oder weniger engagiert, als teil des volkskörpers, der nach der erfüllung des plans strebt. die ersten katastrophalen konsequenzen der unbedingten unterwerfung :aller: unter dieses soll folgt schon in naher zukunft: „Die unter Anwendung staatlichen Terrors in der UdSSR von Stalin durchgeführte Zwangskollektivierung der Landwirtschaft (ab 1929) führte besonders in der Ukraine zu hohen Menschenverlusten: Nach den schlechten Ernten von 1931 und 1932 wurde häufig unter Einsatz von Truppen die Ablieferung der Getreidevorräte von den Bauern erzwungen; daraufhin starben während der Hungersnot von 1932 bis 1933 (ukrainische Bezeichnung »Holodomor«) zwischen 4 und 7 Mio. Menschen.“6 :hunger: ist in der baugrube allgegenwärtig. ich möchte diesem aspekt mehr aufmerksamkeit widmen:

„Schon war Mittag vorüber, und die Börse hatte keine Erdarbeiter geschickt. Der nächtliche Mäher des Grases hatte sich ausgeschlafen, er hatte Kartoffeln gekocht, sie mit der Flüssigkeit von Eiern übergossen und mit Öl befeuchtet, von der gestrigen Grütze dazugetan, für die Üppigkeit obendrauf Dill gestreut und brachte im Kessel diese vermischte Nahrung zur Entwicklung der gefallenen Kräfte des Artels.

Sie aßen still, ohne einander anzuschauen und ohne Gier, der Nahrung keinen Wert beimessend, als käme die Kraft des Menschen allein aus dem Bewusstsein. Koslow hustete manchmal unabsichtlich in den Kessel, und man sah die Krümel in der Luft aus seinem Mund, aber keiner der Essenden verteidigte die Reinheit der Nahrung des Magens gegen Koslow, und Woschtschew, der das sah, schöpfte mit seinem Löffel eben jene Stellen der Nahrung herauf, wohin Koslow gehustet hatte, um besser mit ihm mitzufühlen.“

»Man muss alles Geflügel beischaffen, es tot machen – und essen«, verkündete, als er seinen Einfall durchdacht hatte, einer vom aktiven Bestand.

»Und hast du Gockel bemerkt?«, fragte der Aktivist.

»Keine«, sagte Woschtschew. »Ein Mann lag im Hof und hat mir gesagt, du hättest den letzten gegessen, als du durch den Kolchos gelaufen und plötzlich hungrig gewesen bist.« »Für uns ist wichtig zu klären, wer den ersten Gockel gegessen hat, nicht den letzten«, verkündete der Aktivist.

»Oho, was für eine Natter, eine taktische!«, erkannte Shatschew aus der Finsternis. »Meine Rente reicht nicht mal für Hirse – nur für ungeschälte. Aber ich will Fett und Milchiges. Sag deinem Luder, dass sie mir in eine Flasche richtig dicke Sahne abfüllt!«

die menschen werden, wenn es um die ernährung geht, basal. wer einmal ein paar jahre seines lebens lang 8-stunden-tage körperlicher arbeit verbrachte (ohne bis zur rente aussicht auf verbesserung der lage) wird das nachvollziehen können. den rauhen ton, den toten letzten gockel, das gemeinsame erlebnis einer schaffenspause. wir nähern uns langsam dem kern der sache mit der arbeit.

  1. Nicholas, Mary A.. Writers at Work : Russian Production Novels and the Construction of Soviet Culture, Bucknell University Press, 2010. ↩︎
  2. wikipedia ↩︎
  3. HOW RUSSIA CHARTS HER ECONOMIC COURSE: SIXTEEN MEN SIT IN MOSCOW AND ...

    By STUART CHASE. New York Times; Dec 11, 1927. ProQuest Historical Newspapers: The New York Times pg. XX7

  4. nicholas (2010) ↩︎
  5. ebd. ↩︎
  6. Brockhaus Enzyklopädie Online. 2020-07-05. https://brockhaus.de/ecs/permalink/86F7F7B99E9C6CE11203666AB1630EC5.pdf ↩︎